Rose #25/2022
Als wir damals im Kreißsaal ankamen, gab es viel Zeit für uns allein. Alle Hebammen waren sehr beschäftigt, was mir gut gefiel. Ich spürte deutlich, was für eine großartige Teamarbeit wir leisteten: mein Sohn und ich und mein damaliger Mann.
Ich spürte, wie ich in meiner Kraft war und dass so eine Weisheit in einem Frauenkörper steckt und ganz genau weiss, wie er ein Kind auf die Welt zu bringen hat. Leider wird diese Weisheit mit Füssen getreten.
Nach ein paar Stunden begann jedoch der Aktionismus. Ich hatte sehr lange Wehen, zwischen 2-3 Minuten lang, aber ebenso lange Pausen.
Dennoch war es sehr anstrengend und schmerzhaft und man bot mir ein Schmerzmittel an, was ich dankend annahm. Ich wusste nicht, dass es direkt ein Morphin war, das wurde mit keiner Silbe erwähnt und sicherlich wäre es auch von mir abgelehnt worden. Mit der Gabe i.V. in den Oberschenkel erfolgte auch noch eine weitere Untersuchung des Muttermundes.
Was man mir aber nicht sagte, war, dass mit einem Glasspatel die Fruchtblase angeritzt wurde und so ein Blasensprung ausgelöst wurde.
Der Schock war so groß, dass ich im selben Moment spürte (wohl auch in Kombi mit dem Dipidolor) dass ich schwer wie ein Walross wurde und nicht mehr in der Lage war,
mich aus der Position herumzubewegen, in der ich dort lag: in Seitenlage. Und ich verlor die innere Kommunikation mit meinem Kind, das sich gefühlt wie verschreckt zurückgezogen hatte.
Kurz darauf setzten die Presswehen ein und man stellte mich vor die vollendete Tatsache, dass jetzt eine Schulpraktikantin (das muss man sich mal vorstellen!) dabei sein würde. Ohne mich zu fragen!
Dann nahm das Drama seinen Lauf. Die Aufgabe der Schulpraktikantin war, mein Bein hochzuhalten - ich als ja in Seitenlage. Sie hat die Kraft der Presswehen wohl unterschätzt und währenddessen mein Bein In einer solchen Position gehalten, dass ein furchtbarer Schmerz durch mein Becken und Steissbein schoss. Ich stiess sie noch weg, aber es war zu spät. Ich wusste, jetzt ist etwas ganz schlimmes passiert und
Ich muss nochmals pressen, denn der Kopf meines Kindes war schon im Becken. Also sagte ich nichts. Einen Dammschnitt, den die Hebamme auch noch durchführen wollte, konnte ich gerade noch so abwenden, indem ihr androhte sie zu verklagen, wenn sie das tut.
Dann kam der Arzt rein, setzte sich breitbeinig auf einen Stuhl mit verschränkten Armen und schaute gelangweilt zwischen meine gespreizten Beine. Ich weiss nicht, wann ich mich jemals im Leben so gedemütigt, so ausgeliefert und derart beschämt gefühlt habe.
Mein Sohn wurde gegen meinen ausdrücklichen Wunsch unmittelbar abgenabelt, ich hatte noch nicht einmal Luft geholt. Dies wurde damit begründet, dass ich Null negativ sei.
(Was mein Mann auch ist, somit Kind ebenfalls null negativ. Antwort auf meine Aussage: „Das wäre ja nicht das erste Kuckuckskind, das in dieser Stadt zur Welt käme“)
Das sei Routine! Wir hatten es im Vorfeld sogar mehrfach besprochen und mein Wunsch war schriftlich vermerkt worden.
Als ich genäht werden sollte, wurde mit der Betäubung direkt der Pudendusnerv angespritzt. Ich habe geschrien vor Schmerzen.
Übrigens lag ich zum Nähen mit den weit gespreizten Beinen zur Tür zum Gang, die natürlich sperrweit offen stand……
Meine schwere Verletzung hat damals Niemand erkannt und ich wurde mit meinen starken Beschwerden nicht ernst genommen. Ich konnte nicht aufrecht stehen und fiel immer zu einer Seite.
Der Krankengymnast im Krankenhaus machte darauf aufmerksam, dass ich eine Beinlängendifferenz von 3,5cm (!) hatte, wurde aber nicht gehört.
Irgendwie habe ich mich, nachdem ich entlassen wurde, in den nächsten 9 Monaten halbwegs stabilisiert. Ein weiterer Orthopäde stellte diese Verletzung ebenfalls nicht fest.
Dies wurde erst durch umfangreiche Diagnostik in einer Spezialpraxis 3 Jahre später erkannt: Die Diagnose: Beckensprengung, Symphysensprendung, Steissbeinbbruch, das Darmbein war über mein Kreuzbein gerutscht und durch das total schiefe Becken war eine schwere Skoliose ausgelöst worden und das Hüftgelenk war schwer entzündet.
Ich habe nie Anzeige erstattet. Das war wohl damals dem schweren Schock geschuldet. Bis heute habe ich große Probleme, aber mit alternativen Heilmethoden,
unzähligen Körpertherapien und Yoga bin ich heute weitestgehend schmerzfrei und habe kein künstliches Hüftgelenk bekommen.
Mein damaliger Mann hat sich vor ein paar Jahren bei mir entschuldigt. Er sagte: „ich habe gespürt, dass da was nicht richtig lieg und ich hätte auf dich aufpassen und diese Praktikantin rausschicken müssen.
Denn du konntest es in dem Moment nicht“.
Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Allein schon dafür, dass er es sehen konnte.
Dennoch hat es mich zu meinem Beruf gebracht, den ich sehr liebe: ich bin mit Leib und Seele Körpertherapeutin und behandle auch heute manchmal noch Schreibabies und Mütter nach Schockentbindung.
Das hat mich diese schwere Verletzung gelehrt, dennoch hätte ich gern auf diese Erfahrung verzichtet.